Nach Aussagen der WHO – der Weltgesundheits-Organisation – hat sich der Anteil an übergewichtigen Menschen seit der Mitte der 1970er Jahre fast verdoppelt. Einige Länder sind von dieser Entwicklung mehr, andere weniger betroffen. In einigen Gebieten ist Fettleibigkeit sogar die Folge von Mangelernährung.
Hektischer Alltag
Der Wecker klingelt am frühen Morgen, viel zu früh. Die Zeit ist knapp, so dass es fürs Frühstück nur für einen kleinen energiereichen Snack aus dem Kühlschrank reicht. So geht es den ganzen Tag weiter. Entweder folgt das Homeoffice oder die Fahrt ins Büro – natürlich mit dem Auto. Erst sitzen bis zur Mittagspause, um in dieser Zeit schnell eine Mahlzeit zu vertilgen. Dann wieder im Büro sitzen. Letztendlich lassen gestresste Angestellte ihren Tag dann in Ruhe auf dem Sofa ausklingen, und einer großen Portion Essen.
Zu viel Stress, zu wenig Bewegung
Dieser Ablauf kennzeichnet den Alltag vieler Menschen weltweit. Der Alltag verursacht eine Entwicklung, die medizinisch mehr als bedenklich ist. Nach Analysen der WHO waren im Jahr 2016 schon 39 Prozent aller Erwachsenen weltweit übergewichtig. Das bedeutet nach einer Definition der WHO, dass knapp 40 Prozent aller Erwachsenen einen Body Mass Index – einen BMI – von 25 oder mehr haben. Der BMI ist zwar nicht das einzige Maß zur Ermittlung von Übergewicht, aber dennoch für einen repräsentativen Vergleich größerer Personengruppen geeignet.
Eine dramatische Entwicklung
Ein Ländervergleich weltweit gibt zu verstehen, dass sich der Anteil an übergewichtigen Menschen seit 1975 beinahe verdoppelt hat. Damals litten 22 Prozent aller Erwachsenen an Übergewicht, um das Jahr 2000 etwa 30 Prozent und 2010 schon gute 35 Prozent. In den Augen von Matthias Blüher – ein am Helmholtz-Institut für Metabolismus-, Adipositas- und Gefäßforschung in Leipzig ansässiger Adipositas-Forscher – geht dieser besorgniserregende Anstieg vor allem auf unsere Lebensweise zurück. Überernährung steht einem Bewegungsmangel gegenüber. Wir nehmen zu viele kalorienhaltige Getränke zu uns, zum Beispiel über zuckerhaltige Getränke. Im Gegenzug sind viele Betroffene an Arbeitsplätzen tätig, die eher wenig körperliche Aktivität erfordern. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Menschen eher in ein Auto steigen, anstatt Fahrrad zu fahren oder zu laufen. Dadurch entsteht eine Fehlbalance zwischen Energieverbrennung und Energieaufnahme. Dieses Problem nahm innerhalb der Gesellschaften in den letzten Jahrzehnten deutlich zu.
Keine gleichmäßige Verteilung
Dennoch gibt es einige Länder, in denen das Phänomen wesentlich häufiger als in anderen Regionen auftritt. Diese Entwicklungen werden neben genetischer Veranlagung durch gesellschaftliche Faktoren beeinflusst. Adipositas entsteht vermehrt in Gesellschaften, in denen ein deutliches Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich vorherrscht. Ein gutes Beispiel sind die USA – einem Land mit besonders hoher Einkommensungleichheit. Die USA haben mit 68 Prozent einen höheren Anteil an Übergewichtigen wie Deutschland mit 56,8 Prozent. Laut Blüher kommt Übergewicht bei Personen mit niedrigem Bildungsgrad sowie sozial schwächeren Familien besonders häufig vor.
Länder mit hoher Quote an Übergewichtigen
Dennoch sind die USA nicht das Land mit der höchsten Quote an Übergewichtigen. Die vorderen Ränge belegen überraschenderweise die Cookinseln, Palau sowie Nauru. In den Augen von Adipositas-Forscher Blüher ist der Anteil übergewichtiger Menschen auf den Inseln im Südpazifik so hoch, weil dort lebende Menschen für die moderne Lebensweise besonders anfällig sind. Möglicherweise trägt ein Großteil der Bevölkerung sogenannte Risikogene für Übergewicht in sich. Andere Bevölkerungen – darunter Südkorea – tragen eher schützende Gene gegen Übergewicht. Diese Entwicklung wird zudem durch den Lebensstil beeinflusst. Diese Lebensweise veränderte sich von einer Fokussierung auf gesunde Ernährung und viel Bewegung auf ein westlich angepasstes Bewegungs- sowie Essverhalten. Dieser Wandel hat zur Folge, dass auf Nauru knapp 90 Prozent der Erwachsenen an Übergewicht leiden. Auf Palau und den Cookinseln weisen auch jeweils mehr als 80 Prozent aller Einwohner einen BMI von über 25 auf.
Negativfolgen für die Gesundheit
Infolgedessen ist die Gesundheit der Insulaner beeinträchtigt. Während auf Nauru nahezu 30 Prozent aller Erwachsenen einen erhöhten Blutzuckerspiegel haben, sind die Cholesterinwerte bei 46 Prozent aller Insulaner erhöht. Zugleich erhöht sich bei Übergewicht das Risiko, an Krebs, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Beschwerden zu erkranken. Die gesundheitliche Gefahr betrifft nicht nur die Einzelpersonen, sondern das gesamte Gesundheitssystem. Folgeerkrankungen müssen behandelt werden. Zudem erzeugen Arbeitsausfälle und Rehabilitationsmaßnahmen hohe Kosten. Laut Blüher ist die Entwicklung vor allem für die Länder besonders problematisch, deren Anteil an Übergewichtigen bislang eher gering war. Steigt die Zahl deutlich an, sind die Länder schlichtweg nicht auf damit verbundene Probleme vorbereitet.
Immer mehr Übergewichtige in Vietnam
Sorgenfalten bereitet beispielsweise die Entwicklung in Vietnam. In dem Land aus Südostasien erhöhte sich der Anteil übergewichtiger Menschen von 2006 bis 2016 von 13 auf 18 Prozent. Ein ähnlicher Verlauf zeichnet sich in Bangladesch, Laos und Thailand ab. In all diesen Ländern galt Übergewicht bis dahin als eher untergeordnetes Problem. Als Gründe für den bislang sehr niedrigen Anteil an Übergewichtigen gaben Forscher eine erhöhte körperliche Aktivität sowie genetische Faktoren an. Die aktuelle Entwicklung deutet darauf hin, dass sich in diesen Staaten die Lebensweise sowie damit verbundenes Ess- und Bewegungsverhalten verändert hat.
Problematische Entwicklungen bei Kindern
Großes Hauptaugenmerk legen Forscher zudem auf die Entwicklung des Gewichts von Kindern. Die Zahl untergewichtiger Kinder nimmt zwar stetig ab. Allerdings gibt es weltweit auch viele übergewichtige Kinder, die dennoch mangelernährt sind. Problematisch ist, dass Kinder oftmals zu viel energiereiche Nahrung zu sich nehmen. Das geschieht, indem sie sich überwiegend von Fast Food, Weizen, Reis oder Mais ernähren. Da Speisen wie Fleisch, Obst oder Gemüse seltener auf dem Teller landen, mangelt es an notwendigen Inhaltsstoffen wie Mineralen, Vitaminen und Spurenelementen. Diese Konstellation führt dazu, dass die Kinder dick und dennoch mangelernährt sind. Dieser Lebensstil prägt die Kinder ein Leben lang. Ihnen mangelt es an Kraft. Zudem sind sie verhältnismäßig klein. Erschwerend kommt hinzu, dass kognitive Störungen auftreten.
Ein „dickes Problem“ auf dem Land
Zusätzlich bildet sich seit rund drei Jahrzehnten ein weiterer Trend heraus. Erste Studien bestätigen, dass vor allem in ländlichen Regionen lebende Menschen in diesem Zeitraum deutlich an Gewicht zugelegt haben. In Industrienationen leben mittlerweile die meisten Übergewichtigen auf dem Land.